Thema des Buches sind die sogenannten EU-Sanktionen gegen die österreichische Bundesregierung im Jahr 2000, der damalige Versuch der europäischen Partnerstaaten, den Eintritt einer von ihnen als rechtsextrem eingestuften Partei in die Regierung eines Mitgliedslandes zu verhindern – und die darauf folgende mehrmonatige diplomatische Quarantäne, nachdem dieser Versuch mißlang. Die Ächtung einer nationalen Regierung durch alle anderen Mitgliedsstaaten war ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der EU und für Österreich die größte außenpolitische Krise in der Zeit nach dem Krieg. Dennoch hat dieses Ereignis in Österreich überhaupt keine gesellschaftlichen Konsequenzen nach sich gezogen. Von Anfang an dominierte in der österreichischen Öffentlichkeit die Haltung, jede Verantwortung strikt zurückzuweisen: In einer absurden Realitätsverweigerung leugnete der Verursacher einfach, irgendeinen Anlass für eine solche Reaktion gegeben zu haben. Stattdessen wurde das gesamte Geschehen schlicht zu einem Problem der Europäer erklärt. Jede Erörterung der eigenen Defizite und Versäumnisse, welche die Voraussetzung für den Eklat bildeten, wurde dagegen verweigert. Weder damals noch in all den Jahren seither gab es deshalb eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema.
Autoren der Beiträge sind der Historiker Wolfgang Benz (Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin), der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Österreich Michael Frank, der langjährige Chefkorrespondent der ZEIT in Berlin Gunter Hofmann, der Kunstkritiker und -schriftsteller Christian Höller (springerin), die Journalistin und Autorin Nina Horaczek (Falter), der Jurist Sebastian Kurat, der Korrespondent österreichischer Medien in Paris Danny Leder, der Politologe Anton Pelinka (Central European University, Budapest), die langjährige Innenpolitik-Ressortleiterin beim Standard Katharina Krawagna-Pfeifer, der Schriftsteller und Essayist Doron Rabinovici, der Künstler und Herausgeber dieses Sammelbandes Martin Strauß.
Inhalt
Martin Strauß u. Karl-Heinz Ströhle
Vorwort
Europa und Österreich im Jahr 2000 – und die mangelnden Folgen
Doron Rabinovici
Vom Schutzreflex Europas
Die „Sanktionen“: eine Erfolgsgeschichte
Michael Frank
Raureif. Die Konfrontation der EU mit Österreichs Regierung im Jahr 2000 war ein bis heute verleugneter Erfolg
Die Medien in Sanktions-Zeiten und die politische Kultur in Österreich
Martin Strauß
Eine Nötigung und ihre Folgen. Österreichische Zustände und europäische Standards
Die historisch-politischen Voraussetzungen der „Sanktionen“ in Österreich
Anton Pelinka
Die Politik der selektiven Wahrnehmung. Warum der Vogel Strauß von den „Sanktionen“ überrascht wurde
Die Sicht von Frankreich her
Danny Leder
Dank an Chirac. Zwischen Paris und Wien während der Sanktionen der EU-14
Die Sicht von Deutschland her
Gunter Hofmann
Haider revisited – aus Berliner Sicht 89
Politische Kultur in Österreich
Katharina Krawagna-Pfeifer
Die Demoralisierung Österreichs. Rückblenden auf die politischen Ereignisse vor zehn Jahren, als das Land in die Geiselhaft von Schüssel, Haider & Co geriet
Recht und Rechtsextremismus in Österreich
Sebastian Kurat
Kein Bollwerk an der Rechts-Grenze. Wie trägt die österreichische Rechtsordnung zur unvollständigen Abgrenzung gegen Rechtsextremismus bei? Versuch einer
juristischen Erklärung
Die innenpolitische Instrumentalisierung der Sanktionen
Nina Horaczek
„Echte Patrioten“ gegen „Österreich-Vernaderer“. Bis heute setzen Volkspartei und Freiheitliche auf die EU-Sanktionen als Druckmittel gegen den politischen Gegner
Das Verhältnis zum Nationalsozialismus
Wolfgang Benz
„Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland und Österreich. Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Christian Höller
Aufbruch, Kunst, Vorwärts und Vergessen. Notiz zu den Herausgebern
Die Autorinnen und Autoren