Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3/2011

Ruhestand

Seit den 1970er-Jahren ist in der westlichen Welt der aktive und kompetente Senior zum gesellschaftlich anerkannten und geforderten Leitbild geworden. Die wörtliche Bedeutung von Ruhestand wurde zunehmend als anachronistisch empfunden und durch die ironische Rede vom Unruhestand relativiert. Ruhestand wird hier zum einen als Lebensphase und zum anderen als Lebensstil und Praxis verstanden. In einer längeren historischen Perspektive wird hier seine Entstehung untersucht. Während er sich als Lebensphase erst im Lauf des 20. Jahrhunderts deutlich von vorherigen Phasen abgrenzt, geht er als Lebensstil auf die römische Antike zurück. In der europäischen Frühneuzeit wurde das „Ciceronische Modell“ des Ruhestandes – Kontemplativität und Aktivität – für Teile der adligen Oberschicht attraktiv, bevor es im 19. und 20. Jahrhundert auch für das Bürgertum und zuletzt sogar für die Arbeiterschaft maßgeblich wurde.
Die Beiträge des Bandes konzentrieren sich auf den Zeitraum vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und damit auf eine Periode des Übergangs: Ruhestand breitete sich in dieser Zeit – als Lebensphase wie als Praxis – in den westlichen Gesellschaften, zuletzt aber unter anderem auch in außereuropäischen Gesellschaften aus, wie hier am westafrikanischen Ghana gezeigt wird. Zuerst nur für Staatsbeamte und Bürger relevant, übernahmen ihn zuletzt auch Arbeiter und Angestellte. Durch den Ausbau von staatlichen und betrieblichen Pensionssystemen erfuhr der Ruhestand eine materielle Absicherung und eine Regulierung seines möglichen Beginns.

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