Das vergangene Jahrhundert wird als eines der Vertreibungen bezeichnet. Von Vertreibungen waren auch Wissenschaftler/innen betroffen.
Frank W. Stahnisch untersucht aus Deutschland zwangsemigrierte Wissenschaftler/innen aus Neurologie, Psychiatrie und Psychoanalyse und deren Ablehnung als „jüdische Wissenschaft“. Die Anstrengungen der Vertriebenen, in den nordamerikanischen neurosciences Fuß zu fassen, führten zu einer neuen und interdisziplinären Ausrichtung: emigrationsinduzierter Wissenschaftswandel und transatlantischer Wissenstransfer.
Miriam Intrator zeigt, dass deutsche und österreichische Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftler/innen, die vor dem NS-Regime flüchten mussten, vorübergehend Arbeit in der New York Public Library fanden.
Kerstin Tomenendal und ihre Mitautorinnen fragen nach dem Einfluss, den renommierte, in die junge türkische Republik emigrierte deutschsprachige Wissenschaftler auf die Reform der Universitäten und auf ihre türkischen postgraduate-Studierenden hatten.
Alessandra Gissi informiert über italienische Wissenschaftler/innen, die nach Erlass antijüdischer Gesetze durch das faschistische Regime Mussolinis 1938 außer Landes gehen mussten.
Paola Bayle zeigt an der Emigration von chilenischen Wissenschaftlern während des Pinochet-Regimes, dass in Großbritannien seit den Vertreibungen durch das NS-Regime eine Hilfsorganisation für geflüchtete Akademiker/innen etabliert war. Die Entstehung dieser Flüchtlingshilfe in den 1930er Jahren wird von Christian Fleck rekonstruiert.
Tamara Ehs setzt sich mit dem Weggang von Hans Kelsen aus Wien auseinander. Sie erörtert, ob es sich dabei nicht um den Beginn einer Vertreibung Kelsens und des gesamten sozialwissenschaftlichen Zweiges der Rechts- und Politikwissenschaften gehandelt hat.
Matthias Krämer untersucht, wie aus NS-Deutschland emigrierte Historiker nach 1945 versuchten, durch Gastprofessuren am Aufbau demokratischer Geschichtswissenschaften in Deutschland teilzunehmen. Die Untersuchung der Rezensionen ihrer Bücher in der damals führenden Historischen Zeitschrift beweist aber, dass ihnen antiamerikanische und antijüdische Vorurteile entgegengebracht wurden.