Im 19. Jahrhundert löste das Konzept der Nation in zunehmendem Maße die Religion als Identifikationsmodell ab. Dadurch sahen sich jene Gemeinschaften, die die Definitionskriterien dieses Begriffes (scheinbar) nicht erfüllten, vor das Problem gestellt, ein eigenes Bild von sich zu entwerfen. Die Lösungsstrategien waren genauso vielfältig wie die Themenbereiche, die davon berührt wurden. So wurden auch die Kunsttheorie und Kunstpraxis von der einsetzenden Diskussion voll erfasst. Ein besonders spannendes Kapitel ist der innerjüdische Diskurs um eine jüdisch-nationale Kunst von seinen Anfängen um 1900 bis in die späten 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Bogen spannt sich von David Kaufmanns Beitrag zur Haggada von Sarajevo über Martin Bubers Schriften bis hin zu den Künstlern der Kultur-Lige. Deren Illustrationen jiddischer Bücher stellten schließlich den Versuch dar, den theoretischen Diskurs in die künstlerische Praxis zu überführen. Dreh- und Angelpunkt war die Frage, was jüdische Kunst eigentlich sei. Die Antworten, die Kunsthistoriker, Politiker und Künstler, teils miteinander, teils gegeneinander, hierfür gefunden haben, entstanden im engen Wechselspiel mit den gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit.
Der Autor:
Markus Helmut Lenhart, Mag. Dr., Studium der Kunstgeschichte, Geschichte, Religionswissenschaften und Pharmazie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Seit 2006 Lehrbeauftragter am Institut für Kunstgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz. Seit November 2008 Institutslektor am Österreichzentrum der Hebräischen Universität Jerusalem.