Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 12. Jg., Heft 4, 2001

Tele Visionen - Historiografien des Fernsehens

Auch HistorikerInnen sehen fern. Aber was bedeutet das für die Produktion geschichtswissenschaftlichen Wissens? Vor dem Hintergrund massiver ökonomischer und technologischer Veränderungsprozesse der transnationalen Medienlandschaften und im Kontext aktueller demokratiepolitischer Auseinandersetzungen um öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten präsentiert die Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften diesen Band. Seine Aufgabe ist es, die Relevanz eines differenzierenden und historisierenden Blicks auf >die< Medien exemplarisch am Fernsehen zur Diskussion zu stellen. Der Band präsentiert Zugänge zum Fernsehen, die in unterschiedlicher Weise den Wandel von televisuellen Identitätspolitiken und Wahrnehmungsweisen thematisieren und an den Konstitutionsbedingungen historischer Wissens- und Machtformationen interessiert sind. Dabei zeigen sich heterogene Schnittflächen der Geschichts- und der Medienwissenschaften. Nicht zuletzt bieten sich Ausblicke auf künftige medienpolitische Entwicklungen.

Thematisch ist TeleVisionen an zwei Erkenntnisfeldern orientiert, die in allen ausgewählten Beiträgen auf verschiedene Weise berührt, verschränkt oder ins Zentrum gerückt werden: Erstens, der Zusammenhang von Fernsehen, Archiv und Gedächtnis. Er wird in den Beiträgen von Monika Bernold, Vrääth Öhners und William Urrichio erörtert. Zweitens, der Zusammenhang von Fernsehen und Identitätspolitiken in der (Post-)Moderne. Er wird in den Beiträgen von Lynn Spigel und Sylivia Szely untersucht. Dabei stehen Formen der Intermedialität im Zentrum des Interesses.

Der Band enthält mikrohistorische und konzeptive Zugänge zum Fernsehen, dokumentiert aktuelle Arbeiten zur Geschichte des Fernsehens in Österreich und eröffnet eine transdisziplinäre und internationale Forschungsperspektive. Dass die Herausgeberinnen zwei angloamerikanische Arbeiten in den Band aufgenommen haben, zeigt nicht nur den hegemonialen Status US-amerikanischer Medienkonzerne, sondern auch den hohen Rang der anglo-amerikanischen Forschung im Feld der Medientheorie und der Fernseh- und Filmwissenschaft.

Der einleitende Beitrag Fernsehen ist gestern von Monika Bernold fragt nach dem prekären Ort des Fernsehens in der Geschichtswissenschaft und thematisiert die wahrnehmungshistorischen Effekte der Television auf historische Wissensproduktionen. Ausgehend von dem Konzept der Augen/Zeit/Zeugenschaft beschreibt die Autorin Fernsehen als dispositive Anordnung der Zugehörigkeit und rekonstruiert die sich wandelnden televisuellen Angebote des >Dabei-seins< nach 1945. Die These: In Österreich konstituierte sich während der 1960er und 1970er Jahre eine Fernseh-Nation, die sich im Zuge des Umbaus der Medienlandschaft seit den 1980er Jahren in andere Formen televisuellund intermedial vermittelter Zugehörigkeiten diversifiziert.

Vrääth Öhner thematisiert in seinem Beitrag Wiedersehen macht Freude den Zusammenhang von Archiv und Fernsehgeschichte. Er reflektiert jene theoretischen und praktischen Probleme, die sich einer an der Programmgeschichte interessierten Fernsehforschung entgegenstellen. Darüber hinaus skizziert Öhner aber auch die epistemologischen Bedingungen der Möglichkeit, das aufgefundene audiovisuelle Material im Sinne seiner gesellschaftlichen Relevanz historisch zu rekonstruieren.

William Uricchio unternimmt in seinem Artikel Reflections on a Forgotten Past: Early German Television as a History of Absences die Rekonstruktion einer als vergessen markierten Vergangenheit des deutschen Fernsehens zwischen 1935 und 1944. Die provokante Frage »How did German television disappear from popular memory?« mündet in der Untersuchung des Mediums selbst als Objekt des Gedächtnisses und des Vergessens und analysiert die Geschichte der Technologie vor dem Hintergrund eines belasteten Anfangs im nationalsozialistischen Deutschland. Eine Geschichte, die während der 1930er Jahre und über den Krieg hinaus von multinationalen Formen der Zusammenarbeit begleitet war. Die durch den Kriegsausgang legitimierte Praxis des vereinfachten Zugriffs auf die deutsche Fernsehtechnologie (als Kriegsbeute) hat, so die These, eine Leerstelle im populären Gedächtnis an das frühe Fernsehen aktiv mitgestaltet.

Der Text von Sylvia Szely zum österreichischen Fernsehspiel der 1970er Jahre kreist um Fragen der Intermedialität von Literatur, Film und Fernsehen. Vor dem Hintergrund des sozialliberalen Konsenses (Ernst Hanisch) und den spezifischen politischen Entwicklungen, die jene 1970er Jahre prägten, sollten sich die zu Beginn noch sehr spielerischen, offenen Formen fiktionaler Fernsehformate des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks ORF schrittweise verfestigen. Dabei nahmen sie vielfach auf Literatur und Film Bezug. Was als die Aufarbeitung zeitgenössischer österreichischer Wirklichkeit beschworen wurde, stand in bestimmen inhaltlichen und ästhetischen Traditionen, denen Szely in ihrem Text kritisch nachzugehen versucht.

Lynn Spigel eröffnet mit ihrem Text High Culture in Low Places: Television and Modern Art, 1950-1970 einen Blick auf die Rolle des US-amerikanischen Fernsehens zwischen Kunst und Konsumkultur. Ausgangspunkt ist die Frage, in welcher Weise das US-amerikanische Fernsehen das Bild von Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg mittels der Popularisierung von Kunst definierte. Spigel zeigt, dass der Popularisierung amerikanischer Kunst (zum Beispiel der Pop Art) im Fernsehen in Abgrenzung von einer europäisch markierten Moderne hohe Bedeutung zukam. Der Beitrag rekonstruiert ein komplexes Feld dichotomischer Bedeutungskonstruktionen (high/ low, european/ american, modern/ postmodern), die mit der Herstellung des Bildes von >amerikanischer< Kunst verbunden waren. Er analysiert dabei auch die geschlechtlich kodierten und die rassistischen Ökonomien der US-amerikanischen Kunstwelt der 1950er und 1960er Jahre, die über das Fernsehen ein weiblich identifiziertes, weißes Mittelschichtpublikum adressierten.

Die Beiträge im Forum des vorliegenden Bandes befassen sich mit aktuellen medienpolitischen Entwicklungen, in denen die Organisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens als Einsatz demokratiepolitischer Transformationen lesbar wird. Köpplová und Jirák analysieren die demokratiepolitischen Auseinandersetzungen um das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Tschechischen Republik im Dezember 2000 aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Siegfried Mattl rekonstruiert die politischen und medien- bzw. kulturtheoretischen Effekte der aktuellen Restrukturierung der österreichischen Medienlandschaft vor dem Hintergrund eines neuen Rundfunk- und Privatradiogesetzes in Österreich.

Dem haben wir aktuelle Werkstattberichte hinzugefügt, die für das disziplinenübergreifende Feld der Fernsehforschung und Fernsehgeschichte relevant sind. Heike Klippel stellt Überlegungen zur Vergangenheit in der Seifenoper an, Elisabeth Büttner und Christian Dewald präsentieren das Folgeprojekt zu Anschluß an Morgen, das eine Geschichte des österreichischen Films von der Pionierzeit bis zum Kalten Krieg entwirft. Anna Schober stellt das Konzept zu einem Workshop vor, der sich mit Öffentlichkeit und Raum in der Begriffswelt Hannah Arendts auseinandersetzen wird.

Das Gespräch, das Alessandro Barberi mit dem deutschen Medientheoretiker Joseph Vogl geführt hat, enthält vielfältige Korrespondenzen mit den Fragen und Überlegungen, die in den Aufsätzen dieses Bandes aufgeworfen werden, kreuzt oder durchkreuzt diese gewissermaßen absichtslos. Die Frage des Archivs und der Wiederholung etwa oder die der unterschiedlichen Zeitlichkeit. Für eine medienhistorische Perspektive, so Vogl, ginge es darum, neue Formen der Grenzüberwindung zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen zu forcieren und das Projekt der Entnationalisierung von Wissenschaften voranzutreiben. Beides basiere auf der Notwendigkeit, die Konstitutionsbedingungen von historischen Wissensformen immer wieder zu reflektieren. Das Heft TeleVisionen versteht sich als ein Beitrag dazu und wird an eben diesen Forderungen zu messen sein.

Monika Bernold / Sylvia Szely, Wien

Inhalte

Monika Bernold
Fernsehen ist gestern. Medienhistorische Transformarionen und relevisuelles Dabeisein nach 1945

Vrääth Öhner
Wiedersehen macht Freude. Über Archivierung und Rekonstrukrion von Fernsehprogrammen

William Urrichio
Reflections on a Forgotten Past. Early German Televisions as a Hisrory of Absences

Sylvia Szely
Seismographen der Gegenwart? Die Transformationen des ORF-Fernsehspiels in den siebziger jahren

Lynn Spigel
High Culture in Low Places. Television and Modern Art, 1950-1970

Joseph Vogl/Alessandro Barberi
Historische Epistemologie und Medienwissenschaft

Siegfried Mattl
Back to the future. Die Neuregulierung des österreichischen Fernsehmarkres

Barbara Köpplová/Jan Jirák
Der Prager TV-Streik und die Auseinandersetzung um das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Tschechischen Republik

Heike Klippel
Verwaschene Geschichte. Zur Vergangenheit in der Seifenoper

Elisabeth Büttner/Christian Dewald
Eine Geschichte des österreichischen Films von der Pionierzeit bis zum Kalten Krieg. Ein Autorenbericht zum Buchprojekt

Anna Schober
Die doppelte Sprache der Kleider, Gebärden und Bauten. Öffentlichkeit und Raum in der Begriffswelt Hannah Arendts. Ein Workshop im Forum Stadtpark.

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