Frauen – Geschlechter – Geschichte
Seit dem Aufbegehren frauenbewegter Frauen in den 1960er Jahren sind drei Jahrzehnte feministischer Kritik am Patriarchalismus ins Land gezogen – Zeit für eine vorläufige Bilanz.
In der Neuen Frauenbewegung stellte sich die Einigkeit zwischen ,Autonomen‘ und Marxistinnen, Heterosexuellen und Lesben, Frauen in und außerhalb von Institutionen über das selbstverständliche Wir der unterdrückten Schwestern und die Lust an einer ,weiblichen‘ Gegenkultur her; ebenso im Kampf gegen androzentrische Politik, Ökonomie und Wissenschaft, auch wenn die Wahl der Mittel Anlaß zu hitzigen Debatten gab. Frauen machten sich auf die Suche nach der ,eigenen Geschichte‘, manche davon auch professionell: Historikerinnen, Soziologinnen, Philosophinnen und Ethnologinnen forschten im Dunkel der Geschichte nach weiblichen Lebensräumen und Lebensformen, oft gegen den Widerstand ihrer Kollegen und Beziehungspartner. Tausende Texte bezeugen heute die mühevolle Grabungsarbeit und die reichen Funde: Arbeiterinnen und Mägde, bürgerliche Hausfrauen und Fürstinnen, Ordensschwestern und Salonieren wurden dem Vergessen entrissen und als historische Subjekte ,entdeckt‘. Ab den späten siebziger Jahren eroberte die Frauenforschung auch eine Nische in der akademischen Welt. Im Unterdrückungsparadigma der Kritischen Theorie oder im naiven Idealismus freier Weltgestaltung beheimatet, galt die Aufmerksamkeit der frühen Frauenforscherinnen vor allem der Anprangerung patriarchaler Macht und der Systematisierung kontributiver Frauengeschichte. Erst die Konstituierung (und langsame Durchsetzung) der gender studies im letzten Jahrzehnt hat zu einer allmählichen Abwendung von monokausalen Erklärungen geführt und in weiterer Folge zum Aufbrechen des hermetischen Diskurses über das Verhältnis der Geschlechter. Nach Jahren der Auseinandersetzung um die politischen Folgen dieses Paradigmenwechsels steht heute, im Streit um die (Post-)Moderne, die zentrale feministische Kategorie – Geschlecht – im Zentrum der Debatten.
Im vorliegenden Heft wird der Unterschied, ja offene Widerspruch zwischen den Positionen und Positionierungen der einzelnen Forscherinnen deutlich sichtbar. Entgegen der Kritik, die Aufspaltung des feministischen Projekts gefährde dessen politische Durchsetzbarkeit, sind wir der Ansicht, daß erst der Streit um die Deutungen und Bedeutungen des feministischen Anliegens Frauen (und Männer) in die Lage versetzt, die symbolische Herrschaft über Frauen offensichtlich zu machen, um sie in praxi ihrer selbstverständlichen Geltung zu berauben – vor allem dort, wo diese Herrschaft unbewußt und heimlich funktioniert. Wider subjektivistische und intentionalistische Konzepte der Durchsetzung feministischer Anliegen ist dies unserer Ansicht nach nur durch die Partizipation an den Spielen der Macht, im vorliegenden Fall am Kampf um wissenschaftliche Definitionsmacht, möglich – auch um den Preis des Verlusts trügerischer feministischer Gewißheiten und prekärer feministischer Heimaten.
Der Aufsatz Sieglinde Rosenbergers eröffnet die Debatte um die Kategorie Geschlecht. Rosenberger beschreibt die Entwicklung frauenbewußter und feministischer Wissenschaftsprojekte in den USA, in Deutschland und in Österreich. Sie wirft ein Streiflicht auf die Bedingungen, unter denen Frauenforschung entstanden ist, und skizziert die wichtigen Themen und Auseinandersetzungen in den einzelnen Ländern.
Frigga Haug thematisiert die Entwicklung des problematischen Verhältnisses von Marxismus und Feminismus, das die feministische Theorie in den Anfangsjahren besonders beschäftigt hat. Sie erinnert an die Auseinandersetzung mit Alexandra Kollontai und die Debatte um Lohn-für-Hausarbeit, die als Angriff gegen die ,Geschlechtsneutralität‘ der marxistischen Werttheorie geführt wurde, um diese feministisch zu erweitern. Haug bezieht persönliche Erfahrungen und ihren eigenen intellektuellen Werdegang in ihre Darstellung ein und stellt abschließend die Frage, was von den feministisch-marxistischen Kritikpunkten uneingelöst geblieben ist und worin "Frauenforschung in befreiender Perspektive" heute bestehen könnte.
Auch Uta C. Schmidt stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der Vermittlung von feministischer Wissenschaft und feministischem politischen Handeln. Sie konzentriert sich auf das Verhältnis von lebensweltlichen Bedürfnissen und feministischer Wissensproduktion. Geschichte, argumentiert sie, werde "gebraucht", "erforscht", "erkannt" und "geschrieben". Schmidt wendet sich entschieden gegen die Produktion identitätsstiftender Mythen und fordert die wechselseitige Durchdringung von feministischer Geschichtswissenschaft und historisch armiertem Feminismus in emanzipativer Absicht.
Die Gefahr frauenbewegter Mythenbildung ortet die Religionswissenschafterin Ingrid Maged-Scherney auch in vielen Arbeiten über Matriarchat/e. Maged-Scherney anerkennt die Matriarchatsforschung als Mittel, um mit dem androzentrischen Absolutheitsanspruch in Politik und Religion zu brechen und Gegenentwürfe zu formulieren. Anhand feministisch orientierter Feldforschungen zeigt sie, wie etwa aus einem patriarchatskritischen und/oder matriarchatsorientierten Forschungsinteresse neue Erkenntnisse über die Unterdrückung von Frauen in der ,Dritten Welt‘ gewonnen werden können – allerdings nur, wenn dies nicht in identitätsstiftender Absicht erfolgt.
Im Text von Ursula Kubes-Hofmann finden sich viele der in diesem Heft vertretenen Positionen wieder – allerdings in kritischer Wendung. Aufgrund ihrer Stellung zwischen akademischem Feminismus und subkultureller Frauenszene ortet sie zahlreiche blinde Flecken im Selbstverständnis feministischer Wissenschafterinnen, vor allem, was die Konstitutionsbedingungen des eigenen Faches und die Erzeugungsprinzipien ihrer Karrieren und Denkstrukturen anbelangt. Wider das emphatische Aufgehen in der ,Opferthese‘ und das verengte Denken in Dualitäten spricht sich Kubes-Hofmann dafür aus, den feministischen Blick vielmehr an der ironischen Vernunft subkultureller feministischer Avantgarden zu schärfen.
Im ersten Interview kommen mit Herta Nagl-Docekal und Edith Saurer zwei Wissenschafterinnen zu Wort, deren Karrieren in der Institution Universität erfolgreich verlaufen sind – nach wie vor eine Seltenheit in der akademischen Welt Österreichs. Seit vielen Jahren für die Etablierung feministischer Wissenschaftstheorie und feministischer Geschichtswissenschaft in Lehre und Forschung kämpfend, halten Saurer und Nagl-Docekal im Gespräch über ihre persönlichen Lebenswege, ihre wissenschaftlichen Interessen und ihre wissenschaftspolitischen Ziele am Projekt gender studies fest, trotz oder gerade wegen der jüngst laut gewordenen Kritik an der Universalisierung von gender.
Gerda Lerner, die im zweiten Gespräch Stellung bezieht, formuliert als feministisches Projekt die Entwicklung eines "gänzlich neuen Systems an Methoden und Theorien", mit dem sie die Unterordnung von Frauen untersuchen möchte. Dieses System sei in einem Prozeß des work in progress erst zu entwickeln und immer wieder von neuem zu überdenken. Als von den Nationalsozialisten aus Wien vertriebene Emigrantin wurde Lerner nicht nur mit Terror und Verfolgung konfrontiert, sondern in den USA auch mit ,modernen‘ Formen sozialer Ungleichstellung und Marginalisierung. In ihren Arbeiten und im Gespräch betont Gerda Lerner daher, wie wichtig es sei, die wechselseitige Abhängigkeit von Unterdrückungssystemen zu erkennen und zu analysieren. Den ,Schlüssel‘ zur Untersuchung von Ungleichheitsbeziehungen, so Lerner, könne jedoch das Projekt Feminismus liefern, sofern es gelingt, neue Erkenntniswege zu beschreiten.
Wie ungleich die Entwicklung des internationalen Feminismus und der feministischen Wissenschaften vor sich ging und geht, wie unterschiedlich die Lebens- und Arbeitsbedingungen in verschiedenen Gesellschaften für Frauen waren und sind, skizzieren die Beiträge im Forum. Gunda Barth-Scalmani und Sabine Fuchs werfen einen Blick auf die Schweiz und beschreiben die Entwicklung der dortigen Frauenforschung im Spannungsverhältnis zwischen der frühen Möglichkeit für Schweizerinnen zu studieren und der späten Erlaubnis, in diesem Land auch zur Wahlurne zu gehen. In Christine Schindlers Beitrag über die staatssozialistischen Länder Ost- und Mitteleuropas wird deutlich, wie hinderlich die (Wissenschafts-) Politik der totalitären Regime dieser Länder für die Entwicklung der Frauenforschung gewesen ist, obwohl die Befreiung der Frauen auf den Fahnen dieser Regierungen gestanden hat. Ursula Hauser zeigt schließlich für Lateinamerika den eminent politischen Charakter von Feminismus in machistischen Kulturen und die grundlegende Bedeutung der Diskussion um Ethnizität für den internationalen Feminismus.
Babette Klemmer informiert über den jüngst in Kraft getretenen Frauenförderungsplan für die österreichischen Universitäten und Kunsthochschulen, Elisabeth Holzleithner formuliert dazu einen Kommentar "in skeptischer Hoffnung".*
Ulrike Döcker, Wien, und Gabriella Hauch, Linz
* Beide Beiträge erscheinen auch in: [sic!] Forum für feministische Gangarten (1995). Wir danken Ursula Kubes-Hofmann für die Kooperation und die Genehmigung zum Abdruck.
Sieglinde Rosenberger
Women’s History – ein Fach macht Geschichte
Ingrid Maged-Scherney
Die Entwicklung der Matriarchatsdebatte im deutschsprachigen Raum
Frigga Haug
Marxistisch-feministisch – Geschichte einer Verbindung im Streit
Uta C. Schmidt
Für eine disziplinäre Matrix feministisch perspektivierter Geschichtswissenschaft
Ursula Kubes-Hofmann
Indiskrete Erinnerungen
Herta Nagl-Docekal/Edith Saurer/Ulrike Döcker/Gabriella Hauch
Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte, feministische Philosophie
Gerda Lerner/Albert Müller
Frauengeschichte, ,lange Geschichte‘ und ein paar andere Probleme
Gunda Barth-Scalmani/Sabine Fuchs
Helvetias Töchter und die Geschichtswissenschaft
Christine Schindler
Frauenforschung in Zentral-und Osteuropa
Ursula Hauser
Juntas, peró no revueltas. Feminismus in Lateinamerika und die ,Maestria‘ für Frauenstudien in Costa Rica
Babette Klemmer
Frauenförderung an den Universitäten
Elisabeth Holzleithner
Vor und nach dem Frauenförderungsplan
Franz X. Eder
Internet für Historikerlinnen Teil II