Martina Kaller-Dietrich

Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 2/04

Körper-Kontroversen

Einzelheft StudentInnen (Bestellung mit Beilegung einer Inskriptionsbestätigung): Euro 14,40



Beiträge


Maren Lorenz
Physische Gewalt – ewig gleich? Historische Körperkontexte contra absolute Theorien


Gabriele Sorgo
Lebendige Reliquien. Über körperlichen Schmerz zur mystischen Innerlichkeit


Siegfried Mattl
Körperspektakel. Ein anatomisch-pathologisches und ethnologisches Museum im fin-de-siècle Wien



Forum


Barbara Duden
Grundrechte in Gefahr? Welche Folgen hat die biomedizinische Forschung?
Kommentare: Theda Rehbock, Andrea Griesebner, Franz X. Eder, Daniela Ingruber, Christina Lammer, Silvia Ruschak


Christina von Braun
Der Körper als Zeichen
Kommentare: Margareth Lanzinger, Martina Kaller-Dietrich


 


Hefteditorial


Die historische Auseinandersetzung mit einer Geschichte des Körpers ist eine noch junge Disziplin. Sie konnte sich vor allem seit Michel Foucaults Arbeiten in den 1970er Jahren zu disziplinierten, kranken und sexualisierten Körpern als anerkannter Forschungsbereich etablieren. Körpergeschichte beschäftigt sich mit der Historizität und Diskursivität von Körperbildern, Körperempfindungen und Körperwahrnehmungen. Das Paradoxon, nämlich die Unmöglichkeit mittels Schrift vom Körper zu reden, ohne sich von diesem weg zu begeben, kann die Geschichtsschreibung vom Körper nicht aufheben. Aber sie kann den Körper – wie diese Ausgabe der Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit – thematisieren.
„Der Körper ist entweder überhaupt kein Thema, oder er umfasst so gut wie alle Themen.“1 Die Menschen haben ihn, leben mit und in ihm. Seine unabdingbare lebendige Präsenz scheint so gewiss, dass die Körperwahrnehmung im Alltag meist im Unbewussten bleibt. Denn nur jene körperlichen Empfindungen, denen das kulturelle Umfeld Bedeutung beimisst, können formuliert und diszipliniert werden. Trotzdem muss man vermuten, dass körperliche Bedürfnisse und Funktionen kontinuierlich Einfluss auf Handlungen und Gedanken ausüben. Vor allem seit der Trennung des „inneren“ vom „äußeren“ Menschen durch die Ausdifferenzierungsprozesse der Neuzeit stellt sich die Frage, wer oder was den Körper zu dem macht, was er ist. Oder besser gesagt, zu dem, was Menschen glauben, dass er sei. Ist „der“ Körper gar eine unveränderliche biologische Gegebenheit und hat er nicht auch eine Logik und eigene Rechte? Oder gehorchen die Körper so sehr den jeweiligen ideologischen Konzepten, dass sie tatsächlich als ‚gemacht‘ bezeichnet werden können, dass daher jemand Macht über Körper ausüben könnte? Dass der Körper selbst z.B. als Objekt oder Maschine, als äußere Hülle oder Träger einer geistigen Essenz vorgestellt werden kann, hat eine Geschichte. Deren Einfluss können sich auch die gegenwärtigen ForscherInnen in dieser Disziplin der Körper-Geist-Beziehungen nicht entziehen. Müssen WissenschaftlerInnen, die von Krankheit und Schmerz heimgesucht werden, nicht anders schreiben als solche, die gesund sind? Gerade beim Thema des Körpers bedeutet das Aufsuchen eines ‚objektiven‘ Standpunktes schon eine Vorentscheidung darüber, inwieweit Körper-Konzepte tatsächlich das lebendige ‚Fleisch‘ im Griff haben sollen. Beim Schreiben über den Körper oder beim Beschreiben seiner Zustände und Gesten wird jene Körperverdrängung augenscheinlich, auf welcher das, was Geisteswissenschaften genannt ist, gründet. Auch die Körpergeschichtsschreibung muss sich also, mehr noch als jede andere wissenschaftliche Disziplin, der Tatsache stellen, dass sie das Signum der abendländischen Körperdisziplinierung trägt. Indem sie sich selbst als historisch entstandene und sprachlich vermittelte Disziplin reflektiert, bleibt sie an die Spaltung zwischen Körpererlebnis und Erlebnisvermittlung rückgebunden, und damit an das Unmittelbare, welches das Vermittelte immer in Frage stellt.
Um Körperempfindungen untersuchen zu können, müssen sie sprachlich oder bildlich formuliert, aufgezeichnet und ausgetauscht werden. Dadurch fügen sie sich in einen Konstruktionsprozess ein. Dieser ist sowohl von den Möglichkeiten der sprachlichen als auch der bildlichen Formulierung, Aufzeichnung und Dokumentation abhängig, welche wiederum an Zeit, Ort und Kultur gebunden und ständig variabel sind. Deshalb gibt es kein authentisches oder universales Körper-Konzept, sondern viele sich voneinander unterscheidende Körperbilder. Die Herausforderung der Körpergeschichte liegt sowohl in der Identifikation und Anerkennung dieser unterschiedlichen Körper-Konzepte als auch in der Analyse ihrer Ursprünge und ihrer Auswirkungen.
Freilich gibt die Natur den Körper gewissermaßen vor. Er wird jedoch immer kulturell überformt und an die Bedingungen seiner Existenz angepasst. Die Schaffung von Körperbildern ist immer ein reziproker Prozess, in dem Körper sowohl aktiv an der Kreation von Körperbildern beteiligt sind als auch von den sie umgebenden Körper-Konzepten geformt werden. Denn die Übertragung von Körperempfindungen auf Medien der Kommunikation wirkt auf die Körper zurück. Einmal gewählte Bilder und Worte geben Entscheidungen darüber vor, was und auf welche Weise wahrgenommen und empfunden werden kann. Die körperhistorische Disziplin muss die Frage nach einem unvermittelbaren Rest der Körperlichkeit offen lassen. Sie kann den Körper nicht endgültig festschreiben. Dies wäre ein ahistorischer Kern, dem kein Kommunikationsmedium gerecht werden kann. Auch inwieweit dieser vermutete „Rest“ der Sprache und der Schrift, dem Begriffen- und Festgehalten-Werden Widerstand leistet, kann nicht beantwortet, wohl aber untersucht werden. Aus diesem Grund stellt der Körper für das Bewusstsein eine Herausforderung dar, ihn zu interpretieren und zu sezieren, ihn als Projektionsfläche für Wünsche oder Verwünschungen zu benützen, ihm im gesellschaftlichen Skript Aufgaben und Rollen zuzuschreiben, oder ihn zu lesen wie eine Schrift. Es entspricht den Aufgaben der Körpergeschichte, sich genau an die Grenzen des Mitteilbaren heranzuwagen und sie beim Reden und Berichten über Körperlichkeit nicht zu verleugnen.
Die Herausgeberinnen machen es sich in der vorliegenden Ausgabe der Wiener
Zeitschrift für Geschichte der Neuzeit zur Aufgabe, ein Spektrum geschichts- und kulturwissenschaftlicher Zugangsweisen zu Körper-Konzepten nachzuzeichnen. Dabei steht die Vermittelbarkeit von Körperlichkeit über Sprache, Schrift und Text im Vordergrund.
Zu den Beiträgen:
Maren Lorenz thematisiert in ihrem Aufsatz unterschiedliche Wahrnehmungen von körperlicher Gewalt und geht dabei von einem sozial konstruierten, nur in Teilaspekten der Untersuchung zugänglichen und permanent normativen Gewaltbegriff aus. Aus der Perspektive der Körperhistorikerin beleuchtet Lorenz methodische und theoretische Zugänge in Nachbardisziplinen wie der Soziologie, Psychologie und Ethnologie, wo Gewaltforschung schon länger betrieben wird. Sie ergänzt diese Ansätze durch wichtige, in den empirisch arbeitenden Wissenschaften oft vernachlässigte, historische Komponenten der Gewaltforschung wie ihre Gebundenheit an Sinn, Kontext, Zeit, Ort, Ursache und Ziel. Maren Lorenz resümiert, dass „der (Körper-)Sprache von Gewalt – im direkten wie im indirekten Sinn“ sowohl in der Geschichtsforschung als auch in den Nachbardisziplinen bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Gabriele Sorgo untersucht in ihrem Beitrag mögliche Zusammenhänge zwischen körperlichem Schmerz und der Entwicklung von Innerlichkeit unter dem Einfluss der christlichen Heilslehre. Präliterate Christen der frühen Neuzeit verehrten religiöse VirtuosInnen, weil sie die schriftlich überlieferten Leiden Christi wortgetreu am eigenen Körper nachvollzogen. Dieser schmerzliche Gehorsam gegenüber der Schrift konnte im Rahmen der Heilsökonomie als Einzug Christi, des göttlichen Wortes, in die einzelne Seele erfasst werden. Gabriele Sorgo weist darauf hin, dass diese Bereitschaft zur körperlichen Umsetzung von Texten den Gläubigen dabei half, sich den neuen, schriftgeleiteten Wirtschaftsweisen, der Durchsetzung geschriebenen Rechts und den Folgen der beschleunigten Geldzirkulation besser anzupassen.
Siegfried Mattl beleuchtet die Geschichte des im Jahr 1871 im Wiener Prater eröffneten Menschenmuseums und dessen wissenschaftspolitische wie auch körpergeschichtliche Relevanz. Im Panoptikum wurden sowohl gesunde als auch kranke und „abnorme“ Körper gezeigt, welche in Form von anatomischen Präparaten und Wachsmodellen ausgestellt wurden. Hermann Präuscher, der Begründer des Menschenmuseums erklärte seine Motivation für die massenkulturelle Zur-Schau-Stellung mit der Wichtigkeit, unter der Anweisung von Medizinern und Pathologen den eigenen Körper verstehen zu lernen. Siegfried Mattl verdeutlicht am Beispiel dieser „Präsentation des Körpers als Fragment, als Träger pathogener Phänomene und als weiblicher bzw. kolonialer Körper“ in Präuschers Menschenmuseum die Zusammenhänge zwischen Wissen, Macht und Körper.
Die Rubrik Forum steht im Zeichen der Frage, inwieweit sich das zum Ausdruck gebrachte Wort in den Körper einschreibt und ihn sowohl zur diskursiven als auch zur physischen Projektionsfläche von Wirklichkeiten werden lassen kann. Die Körperhistorikerin Barbara Duden sieht in der gegenwärtigen biomedizinischen Forschung, in der unreflektierten Verbreitung des Gen-Jargons in der Alltagsprache sowie in der Gen-Gläubigkeit biomedizinischer Laien einen Verlust der haptischen Eigenwahrnehmung. Der Diskussion um den Schutz der Grundrechte in der biomedizinischen Forschung begegnet Barbara Duden mit der Frage, ob „sich überhaupt von ‚Recht‘ sprechen [lässt], wenn das Subjekt des Rechts aus einem unverwechselbaren ‚Menschen‘ zu etwas Fragwürdigem, zu etwas Verhandelbarem, etwas Verwandelbarem geworden ist?“ Sie sieht im gegenwärtigen Gen-Diskurs ein weiteres Indiz für die „progressive Entkörperung des Westens“, dem eine Verdrängung des von eben diesem Westen geschaffenen Subjekts folgt.
Fünf KommentatorInnen aus der Geschichtswissenschaft, der Philosophie und der Soziologie beleuchten Barbara Dudens Text kritisch und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Andrea Griesebner wirft Duden ein teleologisches Weltbild vor, fordert die Zusammenarbeit mit seriösen ExpertInnen der Biowissenschaften ein und plädiert im Allgemeinen für eine weniger angespannte Gen-Debatte. Dem hält Theda Rehbock entgegen, dass die Auseinandersetzung mit den Folgen der Genetik dringend notwendig geworden ist. Deshalb zweifelt auch sie an Dudens Strategie, sich der Teilnahme am Gen-Diskurs zu verweigern. Es bedarf, so Rehbock, sowohl einer philosophischen Wissenschaftskritik als auch einer phänomenologisch-anthropologischen Analyse und einer ethischen Reflexion, um die Kritik an der Biomedizin und Bioethik argumentativ zu verstärken. Franz X. Eder hebt in seinem Kommentar hervor, dass das Soma, historisch gesehen, in vielen Epochen und Gesellschaften durch verschiedene Symbolisierungen „be-schrieben“ wurde. Die Genetik wäre als eine solche Symbolisierung zu sehen. Ein Soma ohne Symbolisierungen, so Eder, gibt es nicht. Daniela Ingruber sieht den Glauben an die Lesbarkeit des menschlichen Genoms als eine Art Religionsersatz mit stark dogmatischem Profil: „Je unglaublicher und schwerer durchschaubar, desto mächtiger scheint der neue Glaubenssatz“. Außerdem stellt sie eine Verbindung zwischen den auf seine genetische Botschaft reduzierten Körper und dem Datenkörper her: beide bergen eine Gefährdung der menschlichen Grundrechte. Christina Lammer kommentiert Barbara Dudens Text und die Inszenierung von Gen-Realitäten, in dem sie Arbeiten der Künstlerin Barbara Graf heranzieht. Sie stellt gewitzt Bilder des menschlichen Genoms nach, um sie auf diese Weise als Scheinwelten zu dechiffrieren. Lammer bestärkt Dudens Ansatz, die Teilnahme an der Gen-Diskussion zu verweigern, weil sie das (Rechts-)Subjekt entkörpern: „Die Insignien ‚XY‘ brennen sich unmerklich in die Haut ein und durchdringen sie.“ Silvia Ruschak sieht in der gegenwärtigen Gen-Gläubigkeit einen Verlust der Fähigkeit, sich auf die eigenen Sinne zu verlassen. Darüber hinaus konstatiert sie, Dudens Argumente bestärkend, eine regelrechte „Körperwäsche“ von Genen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten, gegen die es sich zu wehren gilt: sei es durch Weigerung, an der Diskussion teilzunehmen, oder durch einen kritischeren Umgang mit der von Genen gezeichneten Körperlichkeit. Alle KommentatorInnen scheinen sich trotz unterschiedlicher Ansätze darüber einig zu sein, dass der Gen-Diskurs gegenwärtig Körpergeschichte schreibt und eine bedeutende Stellung in der Körperkonstruktion an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhunderts einnimmt.
Um Körper und Schrift geht es auch im zweiten, im Forum diskutierten Text von Christina von Braun. Die Kulturwissenschafterin leitet die abendländische Identifikation von Männlichkeit mit Geistigkeit und damit die herrschende Geschlechterordnung von der Buchstabenschrift ab. Sie betont, dass die Entwicklung des Alphabets historisch parallel zu einer entscheidenden agrartechnischen Revolution verlief. Die Kastration des Stiers und sein dadurch ermöglichter Einsatz als Zugtier ermöglichte höhere Bodenerträge. Diese aus dem Verzicht auf die Zeugungsfähigkeit erwachsende Fruchtbarkeit wurde auf symbolischer Ebene als geistige Potenz erfasst und am männlichen Geschlecht festgeschrieben. Von Braun analysiert, dass die Verwandlung des aleph, des Stiers, in das alpha, den aufrechten Mann-Menschen, den Prozess der Gleichsetzung des männlichen Geschlechts mit Geistigkeit widerspiegele. Der Verzicht auf Sinnlichkeit und Sexualität wird auch von der christlichen Lehre als Weg zur Vergeistigung gewertet. Kirchenväter haben die Beschneidung Christi daher als Opfer verstanden, das zur Erreichung seiner geistigen Zeugungskraft notwendig war und – wie die Passion – die Überwindung der Materie symbolisierte. Von Braun führt weiter aus, dass das Geld, ebenso wie die Schrift im Opferkult seinen Ursprung habe, wo es als abstraktes Zeichen für geleistete Opfer fungierte. Geld bezeichnete somit auch die körperliche Hingabe im Rahmen der sakralen Prostitution. Später konnte diese Hingabe erkauft werden, sich also des Körpers bemächtigen. Braun konstatiert, dass die Umdeutung von Fruchtbarkeit in eine geistige Potenz auch die Bedeutung von Schrift und Geld verstärkte. Denn sie erheben nun als machtvolle Träger von Geistigkeit Anspruch auf alleinige Schöpferkraft und auf die Herrschaft über Materie und Körper.
Margareth Lanzinger relativiert von Brauns historische Verknüpfungen mit dem Hinweis darauf, dass in der Neuzeit Mündlichkeit neben Schriftlichkeit weder reine Frauendomäne war noch in allen Lebensbereichen an Verbindlichkeit einbüßte. Außerdem hält sie die Reichweite eines kollektiven Gedächtnisses über mehrere Jahrtausende für zu weit gezogen, Ableitungen vom Kultwesen der Antike bis zur Gegenwart daher für zu spekulativ.
Ganz andere Zusammenhänge spricht Martina Kaller-Dietrich an. Sie hält die Untersuchung der Schrift über weite Zeiträume für gerechtfertigt. Allerdings befürchtet sie eine Fortschreibung patriarchaler Geschlechtsstereotypen durch die Fokussierung auf eine Fruchtbarkeit, die selbst in vergeistigter Form nur auf das Materielle ausgerichtet sei. Kaller-Dietrich verweist daher auf die spirituellen Interpretationsmöglichkeiten von Sexualkulten und Ekstasetechniken, deren geistiger Zugewinn auf Lusterfahrungen und nicht auf Körperverzicht beruhe, und die bisher in der Forschung zu einseitig untersucht worden seien. Sie fordert auf, von den Extremen, vom Ausgeschlossenen her zu argumentieren, um weibliche Sexualität nicht einmal mehr „dem bewährten jüdisch-christlich-moslemischen Muster folgend“ auf körperliche Fruchtbarkeit zu reduzieren.
Beide Kommentatorinnen liefern Aspekte, die zeigen, dass die diskursive Zuordnung von Schrift, Geld und Männlichkeit zum Nicht-Körper vom realen Körpererlebnis, das in sinnlicher Verbindung mit der konkreten Umwelt stattfindet, aufgehoben wird.
In der Rubrik „Neu Gelesen“ rezensiert Edith Saurer Barbara Dudens „Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730“, erschienen 1987. Obwohl Dudens Arbeit nun schon 17 Jahre alt ist, habe sie, so Edith Saurer, nichts an Aktualität eingebüßt. Die Auseinandersetzung mit dem Körpergefühl von Frauen aus dem 18. Jahrhundert konfrontierte Barbara Duden mit einer sowohl kulturell als auch historisch fremden Körperwahrnehmung. Der Verdienst von Dudens Analyse liege darin, dass sie diese Körperwahrnehmungen nicht aufgelöst sondern beschrieben habe, um sie zugänglich zu machen. Bei der Beschreibung und Historisierung der Körperlichkeit von Eisenacher Frauen sei Barbara Duden nicht nur über die Grenzen der Disziplin hinausgegangen, sondern habe durch ihren Verweis auf die „Wirklichkeit schaffende Bedeutung des Blicks“ eine zentrale argumentative Grundlage für die Ende des 20. Jahrhunderts entstehenden Cultural Studies erstellt.
Das Foto am Einband dieses Heftes zeigt eine Puppe aus Plastik. Sie ist in Schnee und Eis gepackt und taut gerade auf. Dies zeugt von der Lebendigkeit des Auftauens, des Sichtbarwerdens einer industriellen Produktion. In diesem Moment des Sehens treten Konturen hervor. Ein Konzept dieses Körpers aus Plastik taut auf. Das schmelzende Eis zeugt vom Vorgang des Sehens und Erkennens der vagen Konturen des Körpers, der verborgen ist und gleichzeitig eines der vielen möglichen Bilder des Körpers erhellt. Ein sanftes Menetekel der Erkenntnis, die stets möglich erscheint: als Bild, als Projektionsfläche, als Faktum oder Schimäre. Der Blick dahinter bedeutet wieder ein neues Sehen und Erkennen. Wir danken dem Künstler Bernd Oppl, dass er uns mit seinem Bild auch an die Flüchtigkeit der möglichen Erkenntnisse über den Körper erinnert.


Martina Kaller-Dietrich, Silvia Ruschak, Gabriele Sorgo


 


Abstracts



Maren Lorenz
Physical Violence – unchanging? Major problems of absolute theories in light of historical contexts and the transformation of bodily perception


Physical violence is defined here as acts of aggression committed by humans and inflicted upon humans, with the intention of causing harm. In contrast to Germanic languages, Romance languages and the English language differentiate between the two central meanings of the single German word „Gewalt“. While this term can refer to physical brutality, it primarily expresses the instrumentalization of physical power, i.e. the forcing of a person’s will on another person. It is obvious that „violence“ is, per se, a normative term. The article focuses on this problem as it pertains to historical research. Research in early modern history, in particular, is confined largely to written sources; it runs the danger of simply superimposing modern notions of the physical and psychological perception of bodily force onto the past. Such modern notions are formed primarily by empirical fields such as psychology, sociology and slightly less by ethnology. The simple transfer of certain theories into the historical sciences contains several dangers. A post-modern revival of theories of de-contextualisation by „naturalisation“, coupled with mere concentration on the physical act itself cannot cover the complex setting, nor can the abstract metaphysical „disembodiment“ of the past decades suffice, concentrating as it does on social discourses, questions of power or – lately – on symbolic aspects as means of communication and publicity. The article deals with this core problem from varying perspectives. In order to avoid short-sighted explanations, historical research with its classical methods of source criticism and contextualisation should integrate various levels of description and analysis and, last but not least, should try to get as close as possible a look at those situations which escalated but – surprisingly – did not culminate in violence.



Gabriele Sorgo
Living Relics. Painful initiation to mystic inwardness in early modern Europe


Anthropologists and psychoanalysts share the assumption that experiences of pain can accelerate personal maturation or even give rise to a new self. This article elaborates upon the thesis that from the 12th century onwards, as modern economic structures evolved and literacy began to flourish, Christians used voluntary suffering as a method of creating a private inner space for God. For the preliterate laypeople, reading the Holy Word meant to perform its entry in the self by imitating Christ’s passion but not by discussing it. Guided by the examples of heroic ascetics, laypeople were able to interpret the new evaluations of the working body arising from alphabetization as the spiritual conquest of the world by the word of God. Mystical suffering provided a tangible example of how abstract forces contained by the Holy Scripture might overcome the flesh. In this way, similar but involuntary sufferings caused by changing economic paradigms and the spread of literacy could be raised onto a religious plain. Women in particular were supposed to be able to spell the word of God through their tormented bodies, thus incarnating the Eucharistic mystery. In this way, Christian asceticism helped to legitimize economic and social transformations through the doctrine of salvation.



Siegfried Mattl
Spectacular Bodies. An anatomical, pathological and anthropological museum during Vienna’s fin de siécle


In 1871, the German circus entrepreneur Hermann Präuscher founded his famous „Panopticon“ in the Prater, Vienna’s amusement park and recreational area. During the years that followed, the institution was split into two different parts. The wax museum shared space with an anthropological show – called „Menschenmuseum“ – where Präuscher presented numerous anatomical objects and artefacts to the curious Prater audiences. While emphasising sensationalism and the thrill of bodily fragments and physical traces of destruction, the „Menschenmuseum“ also claimed a scientific reputation for the quality of the specimens on display, as well as for the anthropological statements represented in the museums systematic approach – statements which were further amplified in the accompanying textual materials. In fact, these referred to the epistemology of racialized eugenics, a concept which dominated scientific discourse in those days and created the „modern“ image of the human body against the backdrop of pathology and abnormality. This essay conceives Präuscher’s „Menschenmuseum“ as a sort of mimicry of liberal science, since scientific institutions (like anthropological museums) had, in fact, established genuine codes of conduct to preclude manifestations of popular pleasure in light of bodily sensations. By referring to a theory of transgression, the essay also stresses the ambivalence of this particular case of mimicry: while subverting „legitimate“ (or: „rational“) forms of discourse, it simultaneously disseminated ideologies of bourgeois corporeality. Employing Marc Seltzers concept of „wound culture“, Präuschers „Menschenmuseum“ in the end can be conceived as one element of mass liberalism’s „pathological public sphere“, where the homogeneity of bared bodies had become the ultimate signifier of man’s social nature.



Barbara Duden
Are human rights in danger?
What are the consequences of biomedical research?


Genetic codes, genetic information, genetically transmitted diseases and so on are becoming part of everyday life in Western countries. Scientists, lawyers and the media are constantly discussing the results of biogenetic research and their influence on human beings – and even on human rights. From a body-historical point of view, however, it is impossible to speak of human rights if the human being that should be protected by these rights is equivalent to genetic codes. Currently, human rights are being transformed into genetic rights, a fact which can be interpreted as a result of the progressive disembodiment of the West. Being human has turned into something questionable, something that depends on the definition of experts. The only way to escape the reduction of oneself to a string of genetic information is to refuse to participate in a discussion that is led by probabilities and genetic prophecies. This refusal appears to be the only way to remain within one’s own bodily perception and to keep constructed genetic probabilities off one’s body.



Christina von Braun
The Body as Sign


The modern alphabet with an A at the beginning still transports the message of the castration of the bull, which once symbolized male virility in ancient mediterranean cults. Castrated and used as draft animal – the horizontal line of the aleph still represents the yoke – the ox entailed increased yields. On a symbolic plain, this device was interpreted as a form of mental virility and was assigned to the male sex. Christianity interpreted the circumcision of Jesus and his passion in the same way: the renouncement of sexuality and of corporeal pleasures was the precondition of his spiritual power. In this way, the male body became the sign of spirituality and mental powers in Christian cultures, whereas the female body was left to represent materiality.
During the 7th century B.C. coins, like the alphabet, began to represent immaterial values which could be exchanged for material ones. Thus the coins refered to the worldly power of the user. Money and writing are connected with mental or spiritual potency and enable their possessor to „create“ realities. This is why prostitution flourished with the invention of money – because it converts signs into flesh. Likewise hysteria, with its capability to create physical symptoms out of nothing, no longer seems to be an exclusively female illness: it can also be found in the „normal“ activities of a present-day stock exchange.

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